Portrait Author

Was hat Storytelling mit der Schweiz zu tun?

Wir alle kennen Storytelling aus dem Marketing. In der Unternehmenskommunikation sind Geschichten als Form längst angekommen – aus gutem Grund. Hunderte von Studien und Statistiken beweisen, dass es funktioniert. Der Mensch ist offener für Anregungen (oder, wenn man böse sein will, Manipulation), wenn er positiv gestimmt ist, wenn die Information mit Emotion verbunden ist, und er wird durch Emotion zu Entscheidungen befähigt (wir hoffen dann, es sei eine Kaufentscheidung). Diese Emotion erreicht man mit Geschichten. Weiter bleibt Information auf viel länger im Gedächtnis haften, wenn sie an eine Gechichte geknüpft ist. Und das alles funktioniert nicht nur für Unternehmen, sondern für jede Art von Organisation – beispielsweise auch Nationen.

Die Story der Marke «Schweiz»

Nachvollziehbar ist das am Beispiel eines Landes – nehmen wir die Schweiz. Es gibt eine Geschichte, die die Identität der Schweiz ausmacht. Der Schweizer war Söldner, käuflich, neutral, unbesiegbar, seine Dienste gehörten dem Meistbietenden. Irgendwann hatte der Schweizer genug davon, bloss für andere zu kämpfen und gründete die Eidgenossenschaft. Noch immer war er neutral und kämpfte für andere – aber er hatte eine Heimat.

Immer mehr Regenten erkannten den Vorteil dieser Neutralität und begannen, die Schweiz auch für anderes als bloss territoriale Interessen zu nutzen. Die Jahrhunderte gingen ins Land, und die Schweiz ist folgerichtig heute ein neutrales Land, das sich (fast) keiner fremden politischen Hoheit unterwirft. Unbeugsam seit jeher. Dieses Gefühl trägt jeder Schweizer in sich, ob er das zugeben will oder nicht: Schweizer Identität in Reinkultur.

Nun gibt es in dieser Geschichte auch einzelne Ereignisse, die diese Geschichte zum Ganzen machen. Die Schlacht von Sempach beispielsweise, in der die junge Eidgenossenschaft sich entscheidend festigt. Auch hier tritt die Schweizer Identität zu Tage. Der unbeugsame Wille, sich nicht zu unterwerfen, frei, unabhängig und eben neutral zu sein, führt die Schweizer zum Sieg. Unbeugsamkeit, erzählt in der Geschichte eines einzelnen Ereignisses.

Und eingebettet darin gibt es das Einzelschicksal – die Legende des Winkelried. Er wirft sich in die Lanzen der Gegner, um den Eigenen eine Bresche zu schlagen. Durch diese Bresche dringen die Eidgenossen hinter die Wand aus Lanzen um mit ihren Hellebarden für ein Gemetzel zu sorgen. Der Winkelried, wie auch der Tell, aber auch ein Calvin, Zwingli und endlich auch ein Roger Federer, sind Produkte, die die Schweiz hervorgebracht hat. Die sich ins nationale Gedächtnis einprägen, weil sie die «Schweizer DNS» in sich tragen: Sie sind unbeugsam.

 

Geschichten auf verschiedenen Ebenen

Jede dieser Geschichten ist völlig anders. Die erste erzählt die Geschichte eines Landes über den Zeitraum von fast 1000 Jahren, die zweite die Geschichte eines punktuellen Ereignisses und die dritte(n) das Leben von Menschen. Diese Geschichten finden auf verschiedenen Ebenen statt. Und doch haben sie alle eine grosse Gemeinsamkeit: die Schweizer DNS.

Übrigens hat jede Nation ihre DNS. Gerade die heldenhafte Unbeugsamkeit ist sehr oft ein Thema darin. Das ist ein bisschen so, wie wenn ein Soft-Drink damit wirbt, dass er erfrischend ist. Alle anderen sagen das auch.

Wichtig zu erkennen sind die verschiedenen Ebenen. Denn sie bauen auf einer DNS auf, die sich, wie es sich für eine DNS gehört, in jedem Bestandteil, in jeder Geschichte reproduziert. Das macht schlussendlich die glaubwürdige Gesamtstory aus. Wenn man so will, gibt es hier die Story des Unternehmens, die Story eines Brands und die Story der Produkte in diesem Brand. Jede dieser Story muss die DNS in sich tragen. Im kleinsten Below-the-line-Event muss die DNS fühlbar sein. Sonst verwischt ihre Kontur.

In jeder Ebene wird die DNS reproduziert und erweitert. Jede neue Ebene fügt ihre eigene DNS hinzu, und in jeder Ebene sollten die DNS aller darunterliegenden Ebenen fühlbar bleiben.

 

Was bedeutet das konkret?

Schauen wir uns mal ein konkretes Beispiel an. Ich komme gerne wieder auf Red Bull zurück, ganz einfach, weil Red Bull Marketing in einer Liga betreibt, von der die meisten anderen Konzerne nur träumen können.

Unternehmens-DNS: Red Bull ist Draufgängertum. «Beat the odds» würde man auf Englisch sagen – dafür gibt es leider keine direkte deutsche Übersetzung, aber es heisst soviel wie: «es entgegen aller Wahrscheinlichkeit schaffen». So wie der Prinz, der Rapunzel ein Red Bull zu trinken gibt, weil ihr Haar zu kurz ist. Oder der Sträfling, der ausbricht, weil er ein Red Bull trinkt. Oder eben wie der Gewinner der Red Bull-Flugtage, oder wie Felix Baumgartner, oder, oder, oder. Haben Sie’s gemerkt? Ganz unmerklich sind wir von der Unternehmens-DNS in die Massnahmen gerutscht. Und der Grund, warum man den Wechsel der Ebenen nicht einmal bemerkt: das Draufgängertum zieht sich durch alles hindurch, mit bemerkenswerter Konsequenz.

 

Von unten nach oben Geschichten suchen

Das gelingt leider bei weitem nicht allen so wie Red Bull. Wenn von Anfang an nie eine Vision und eine gemeinsame Identität definiert wurde, dann ist es schwierig, in der Folge darauf aufzubauen. Zum Problem wird das dann, wenn auf der obersten Ebene begonnen wird, Geschichten zu erzählen, die dann keine Verankerung haben. Doch diese Probleme können auch gelöst werden: Man setzt sich hin und schreibt die Geschichte des Unternehmens. Und ganz wichtig: man erfindet sie nicht, sondern schält sie sozusagen heraus, aus der tatsächlichen Geschichte. Die braucht man nämlich nur so zu erzählen, dass sie die Empfänger überzeugt und Emotionen weckt.

 

Der Vorteil der Kleinen

Genau das ist auch der Vorteil, den die «Kleinen» gegenüber Konzernen haben. Ein KMU lässt sich relativ einfach und schnell mit einer Story imprägnieren. Da in den meisten Fällen nur ein beschränktes Ausmass an bereits publizierten Kommunikationsmitteln vorhanden ist, ist deren Anpassung zwar ein kleiner Kraftakt, aber keiner, der nicht zu bewältigen wäre.

 

Glaubwürdigkeit ist der Schlüssel

Doch auch hier muss man aufpassen: Man kann nicht jeder Unternehmung jede beliebige Geschichte aufdrücken. Denn jede Geschichte muss gelebt werden, um glaubwürdig zu sein. Deswegen sucht man im Fundus der Vergangenheit nach der Geschichte – oder eruiert, welche die «Reasons Why» eines Unternehmens sind. Und aus diesen Fäden spinnt sich eine wunderbare Geschichte, die eine fruchtbare Basis bildet – für alles, was darauf aufbauen soll.

 

Story-Finding statt Story-Telling

Geschichten erzählen ist eine Kunst. Und dazu kommt, dass das schönste Erzählen nichts hilft, wenn die Geschichte unglaubwürdig ist. Deswegen geht es im Marketing auch darum, die richtigen Geschichten zu erzählen. Das ist manchmal fast die grössere Herausforderung. Beruhigend ist aber: jedes Unternehmen hat eine Geschichte zu erzählen. Man muss sie bloss finden.