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Medienförderung ja oder nein? Gastinterview mit Matthias Zehnder

«Der Medienmarkt in der Schweiz ist viel zu klein, als dass er digital überleben könnte»

Die grossen wie auch die kleinen Medienhäuser in der Schweiz haben es gerade nicht leicht. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Medienschaffenden wurden durch die Digitalisierung in den letzten Jahren komplett umgepflügt. Neue Finanzierungsstrategien zu finden ist schwierig: Das Internet ist der mit Abstand wichtigste Werbeträger geworden und die grossen Player Google und Facebook dominieren.

Was bedeutet diese Verschiebung für den regionalen Werbemarkt? Haben kleine Firmen und Institutionen in Zukunft noch eine Chance, mit einem überschaubaren Budget ihre - meist lokale - Zielgruppe zu erreichen?

Am 13. Februar 2022 stimmen wir darüber ab, ob das Medienfördergesetz, das Bund und Parlament im Sommer gegen die Finanzierungskrise in der Medienlandschaft beschlossen haben, umgesetzt werden kann. Das Gesetz beinhaltet ein Förderpaket zugunsten der einheimischen Medien von 150 Millionen Franken während sieben Jahren. 120 Millionen davon würden an Printmedien, 30 Millionen an Online-Medien gehen. Das Referendumskomitee spricht von einer «unnötigen und gefährlichen Verschwendung von Steuergeldern». Wir haben uns mit einem Befürworter darüber unterhalten.

Matthias Zehnder beschäftigt sich als Publizist und Autor seit 30 Jahren mit der Digitalisierung und ihren Folgen. Er findet, es sei endlich Zeit, zusammenzuhalten: «In der kleinen Schweizer Medienwelt geben wir uns alle gegenseitig aufs Dach. Die SRG und die Verleger, die kleinen Onlinemedien und die grossen Anbieter. Dabei haben alle dasselbe Problem: Google und Facebook sind nicht nur die grössten Medienanbieter, sie beherrschen über ihre Vermarktungsangebote auch den Werbemarkt. Das ist die eigentliche Gefahr.»

Hier das ganze Interview:

 

Matthias, was ist neu am geplanten Medienförderpaket des Bundes und warum löst es eine derart hitzige Debatte aus?

Neu ist das Paket als solches. Medien wurden bisher nur punktuell gefördert. So subventioniert der Bund die Frühzustellung von gedruckten Tageszeitungen schon lange. Jetzt hat das Parlament zum ersten Mal eine Art Gesamtschau gemacht und verschiedene Aspekte gebündelt. Die wichtigsten und zugleich umstrittensten Elemente sind der Ausbau dieser Unterstützung von gedruckten Zeitungen und eine direkte Förderung von Onlinemedien. Eher unter dem Radar segeln Fördermassnahmen zugunsten aller elektronischen Medien: Dabei geht es darum, dass der Bund Ausbildungen, Agenturleistungen und digitale Infrastrukturen fördern kann, die der ganzen Branche zur Verfügung stehen. Hitzig ist die Debatte, weil Medienförderung in der liberalen Schweiz bisher ein Tabu war – und weil sich viele Schweizerinnen und Schweizer in ihrem Stolz verletzt sehen. Die Einsicht, dass der Medienmarkt in der Schweiz viel zu klein und vor allem viel zu kleinteilig ist, als dass er digital überleben könnte, ist für einige wohl auch schmerzhaft und ein Stich ins patriotische Herz.

 

Du bist Befürworter der geplanten Unterstützungsmassnahmen. Warum?

Die kurze Antwort: Weil ich glaube, dass die Schweiz ihre Medien nicht dem globalen Onlinemarkt überlassen sollte. Wenn Du das etwas ausführlicher haben möchtest: Das Internet und die Digitalisierung haben dazu geführt, dass im Medienmarkt gnadenlos Skaleneffekte spielen. Das ist super für die «New York Times»: Aus der ehemaligen Zeitung für die amerikanische Ostküste ist im Internet eine Zeitung für die ganzen USA, ja für die halbe Welt geworden. Online kann die «New York Times» viel mehr Leserinnen und Leser ansprechen, die für ihre Inhalte bezahlen und entsprechend mehr Werbung verkaufen. Die Digitalisierung hat die «New York Times» quasi befreit. Dem «Bieler Tagblatt» oder der «Südostschweiz» nützt die Digitalisierung dagegen kaum etwas, weil sich deswegen nicht mehr Leserinnen und Leser für Biel oder für Chur interessieren. Der kleinteilige Schweizer Medienmarkt kommt im Gegenteil durch die Digitalisierung massiv unter Druck, weil Werbeeinnahmen ins Internet abwandern. Im Vergleich mit grossen Internetangeboten sind die Schweizer Medien sehr kleine Nummern und können deshalb vom Boom der Onlinewerbung nicht oder kaum profitieren. Ihre Einnahmen sinken. Jetzt haben aber Zeitungen das Problem, dass sie hohe Sockelkosten haben: Jede Zeitung braucht einen Auslandteil, einen Inlandteil und einen über Wirtschaft, Kultur, Sport und natürlich über Lokales. Das bedeutet: Es kommt fast nicht darauf an, ob eine Zeitung 100’000 oder 200’000 Leserinnen und Leser hat – die Kosten sind immer etwa gleich hoch. Die Schweizer Zeitungen haben deshalb Wege gesucht, diese Sockelkosten miteinander zu teilen. Das Resultat sind die beiden grossen Medienverbünde, also Tamedia und CH Media. Mit durchzogenem Resultat: Selbst für diese beiden Grossen ist die deutschsprachige Schweiz ein recht kleiner Markt. Die beiden grossen Verlage stecken also fest: Für den globalen Digitalmarkt sind sie zu klein, für die föderalistische Schweiz aber eigentlich zu gross. Denn politisch sind nicht die Sprachregionen in der Schweiz die entscheidenden Regionen, sondern die Kantone – oder zumindest die grösseren Städte. Mit anderen Worten: Der digitale Markt wird es nicht schaffen, der Schweiz jene Medien zu finanzieren, die sie braucht. Deshalb wäre es langfristig sinnvoll, zu überlegen, wie wir in der Schweiz die Medien so unterstützen können, dass wir jene Mediendichte erhalten, die wir brauchen. Die geplante Medienförderung mag nicht das Gelbe vom Ei sein, aber es wäre ein erster Schritt in diese Richtung.

 

Das Referendumskomitee bezeichnet das geplante Medienfördergesetzt als «staatspolitischen Sündenfall», es sei wirtschaftlich diskriminierend und demokratiepolitisch schädlich. Können staatlich subventionierte Medien unabhängigen, kritischen Journalismus betreiben? 

Schweizer Tageszeitungen profitieren seit Jahren von der Bundesunterstützung für die Frühzustellung – deswegen berichten sie nicht anders über die Bundespolitik. Die Behauptung, dass sich das ändern würde, wenn diese Unterstützung ausgebaut werde, ist absurd. In professionellen Medien sind Geld und Geist getrennt. Wenn es nicht so wäre, würden die Schweizer Zeitungen ja auch nicht unabhängig und kritisch über Coop, Migros und andere grosse Werbeauftraggeber berichten. Zudem blenden Kritiker aus, dass die Unterstützungsgelder ja an den Erfolg im Nutzermarkt geknüpft sind. Im Print profitieren nur jene Zeitungen, die tatsächlich ein Zeitungsabo ausliefern. Online ist die Unterstützung an den Umsatz mit zahlenden Nutzern geknüpft: Der Bund unterstützt Onlinemedien mit maximal 60 Prozent des Betrags, den das Medium um Nutzermarkt erwirtschaftet. Deshalb sind die geplanten Fördermassnahmen auch demokratiepolitisch nicht schädlich. Sie sind aber, das muss man zugeben, bis zu einem gewissen Grad wirtschaftlich diskriminierend: Weil der Bund die Unterstützung an zahlende Onlinenutzer knüpft, gehen jene Onlinemedien leer aus, die sich nicht über Nutzer, sondern über Werbung finanzieren. Gratisangebote wie «watson» oder «20 Minuten» können nicht von der Förderung profitieren. Der Bund präferiert also ein Businessmodell.

 

Was würde passieren, wenn das Medienförderpaket nicht durchkommt?

Materiell nichts: Es bliebe alles so, wie es ist. Mittelfristig würde die Schweiz medial langsam austrocknen, weil der digitale Markt nicht jene Kleinteiligkeit hergibt, wie sie die mediale Schweiz braucht. Der eigentliche Schaden wäre aber die politische Wirkung: Erstens wäre es nach einem Volks-Nein praktisch unmöglich, in der Schweiz eine Medienförderung einzuführen. Zweitens würde die SVP und ihr nahestehende Kreise wohl als nächstes eine Initiative zur Halbierung der Radio- und TV-Gebühren starten. Die Folgen wären für die mediale Schweiz verheerend.

 

Welche Akteure würden von der erhöhten Förderung profitieren, wer geht leer aus?

Profitieren würden gedruckte, abonnierte Zeitungen und Onlinemedien mit einem Bezahlmodell, sei es als Member oder als Abonnenten. Grossspenden zählen dabei übrigens nicht. Konkret wären das die neuen, lokalen Onlinemedien «Bajour» (Disclaimer: Ich bin Mitgründer und Präsident von «Bajour»), «Tsüri», «Zentralplus» und die «Hauptstadt», Portale wie «Baba News» und «Higgs» und prinzipiell auch die «Republik». Soviel ich weiss sollen da aber die «Verlegerinnen und Verleger», also die Abonnenten, darüber entscheiden, ob die «Republik» eine Förderung überhaupt annehmen würde. Leer gehen Medien aus, die sich ausschliesslich über Werbung finanzieren, etwa «20 Minuten» und «watson». Probleme hätten Medien wie die Basler «Prime News»: Hier können Leser sich einen Beitrag freischalten, indem sie einen Werbeclip anschauen. Das würde nicht als bezahlt gelten.

 

Welche Auswirkungen hätte ein Nein zum Förderpaket auf den lokalen Werbemarkt? Was bedeutet es für kleinere Firmen und Institutionen, die Werbung machen möchten – gerade auch online?

Mittelfristig würde eine Ablehnung dazu führen, dass der Medienmarkt in der Schweiz langsam austrocknet. Davon betroffen wären zuerst vor allem lokale Medienangebote. Die Folge wäre sicher, dass kleinere Firmen und Institutionen weniger Werbemöglichkeiten hätten. Das bedeutet: Der Werbemarkt würde sich noch stärker auf die Grossen konzentrieren, einerseits auf die grossen Vermarkter, andererseits auf die grossen Anbieter und da vor allem auf die sozialen Medien. Das ist ja das paradoxe an der Sache: In der kleinen Schweizer Medienwelt geben wir uns alle gegenseitig aufs Dach. Die SRG und die Verleger, die kleinen Onlinemedien und die grossen Anbieter. Dabei haben alle dasselbe Problem: Google und Facebook sind nicht nur die grössten Medienanbieter, sie beherrschen über ihre Vermarktungsangebote auch den Werbemarkt. Das ist die eigentliche Gefahr. Es ist, wie wenn Kinder in einem Sandkasten sich um eine Sandburg prügeln und nicht merken, dass ein Bulldozer auf sie zurollt. Sinnvoll wäre es, sich zusammenzutun und dem Bulldozer etwas Sand ins Getriebe zu werfen.

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Zur Person:

Dr. Matthias Zehnder (*1967) ist freier Publizist, Berater und Autor in Basel. Er hat in Zürich Germanistik und Philosophie studiert und in Basel in Medienwissenschaften promoviert. Zehnder hat mehrere Startupfirmen und Publikationen rund um das Internet gegründet oder mitgegründet. 2007 bis 2012 war er Chefredaktor der «Coopzeitung», des grössten Printprodukts der Schweiz. 2012 bis 2015 war er Chefredaktor der Tageszeitung «bz Basel». Seit Anfang 2016 ist er selbstständig als Autor, Wissenschaftler und Berater. Als Publizist beschäftigt er sich seit 30 Jahren mit der Digitalisierung und ihren Folgen.

Matthias Zehnder ist Vorstandsmitglied der SRG Region Basel sowie Vorsitzender von deren Programmkommission.

www.matthiaszehnder.ch